Sonntag, 7. Februar 2016

 Rezension: Gaspar Noé - Love (2015).


Wenn der argentinische Skandal-Regisseur Gaspar Noé einen neuen Film ankündigt, zücken die Kritiker noch in derselben Sekunde Zettel und Stift. Was wird das Enfant terrible der Filmkunst dem Publikum dieses Mal kredenzen? Gibt es etwas, das die sexuelle Anziehung eines misantrophen Vaters zu seiner Tochter (Menschenfeind, 1998) oder eine zehnminütige Vergewaltigungsszene (Irreversibel, 2002) toppen kann? Nein.
 
Die expliziten Sexszenen sind für den Durchschnittkinogänger zwar sicher eher ungewohnt, aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles. Zudem ist das, was das Auge zu sehen bekommt, von äußerst ästhetischer Natur. Schöne, junge Körper, die sich in allen erdenklichen Positionen räkeln und vereinen. 
Die (Nach-)Erzählung des Films fällt aufgrund der Zeitsprünge und Rückblenden zugegebenermaßen schwer und funktioniert eher wie die menschliche Erinnerung selbst: Murphy und Electra lieben sich. Fristen ihr Künstlerdasein in Paris. Er als Filmemacher, sie als Malerin. Sie geben sich ihrer wilden Leidenschaft hin. Sie vertrauen sich ihre geheimsten sexuellen Fantasien an und leben diese gemeinsam aus. Hemmunglos. So landen sie mit der hübschen, blonden Nachbarin Omi im Bett und erleben eine Menage à Trois, bei der sich der Zuschauer wie die vierte Person der Liebelei fühlt. Als sich Murphy jedoch auch hinter Electras Rücken mit der erst 17-jährigen Nachbarin trifft und sie von ihm schwanger wird, wird aus Liebe Hass. Murphy erkennt zu spät, dass Electra die Liebe seines Lebens war. In einem bitteren Kampf mit sich, seiner Vergangenheit und vor allem seiner Gegenwart, versucht er Electra zurückzugewinnen. 
Die Off-Stimme des Protagonisten, die dem Zuschauer seine Gedanken und seine Gefühlslage mitteilt, ist ebenso charakteristisch für Noé wie die unchronologische Szenenanordnung. Eine Assoziationskette, die sich zeitweise um die eigene Kehle schnürt, weil Liebe so verdammt weh tun kann. „Wer sich verliebt, hat schon verloren“, sind die weisen Worte eines One-Night-Stands Murphys. Und vielleicht will uns genau das Love sagen. 
Trotz der bedrückenden Story, in der Betrug, Lügen, Alkohol- und Drogenexzesse – neben den Darstellern – ihren Höhepunkt finden, schafft Noé es, dem Zuschauer durch raffinierte (oder doch plumpe?) Anspielungen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern: Murphy möchte Filme machen, die von „Blut, Schweiß und Sperma“ erzählen, sein Sohn heißt Gaspar und Electras Ex-Freund trägt den Namen Noé. Damit hat sich der Regisseur gekonnt wieder ins Gedächtnis der Zuschauer gerufen., falls irgendwem entfallen sein sollte, wessen Streifen er sich da gerade zu Gemüte führt. 
Love steht wohlmöglich im Kontrast zu Noés bisherigen Filmen. Er ist kein Skandalfilm an sich. Kein pornografisches Kino. Vielleicht sogar Antipornografie. Love ist vielmehr die realitätsnahe Darstellung von Leidenschaft, Zuneigung, Ekstase und Liebe bis hin zum Kinderwollen und sich am Ende doch grundlos Kaputtmachen. 



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x.